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Eigentlich müssten die Forstleute den Griechen Talos verehren. Der war ein erfindungsreicher Mann, Schmied von Beruf. Eines Tages hatte er die Kinnlade einer Schlange in der Hand; spielerisch ließ er sie über ein Stück Holz gleiten: Die feinen Zähne schnitten eine Rille. Talos begab sich in seine Schmiede, bildete den Schlangenkiefer in Metall nach - und hatte damit die Säge erfunden.
So liest es sich in der Mythologie der alten Griechen; und obgleich man solche Geschichten nicht unbedingt wörtlich nehmen sollte, ist doch eines bemerkenswert: Die Erfindung der Säge schien Grund genug zu tödlicher Eifersucht.
Der gute Einfall kostete Talos nämlich das Leben. Sein Onkel Dädalos, ebenfalls erfindungsreich und recht berühmt (er brilliert in der Sage unter anderem in der Kunst des Fliegens), sah den Neffen schon längst als lästigen Konkurrenten an. Nun gab die Säge den Ausschlag: Dädalos schubste den Burschen, als beide gemeinsam auf der Akropolis von Athen standen, über die Felsen. Talos stürzte zu Tode.
Im Gegensatz zu vielen anderen mythologischen Figuren sind Talos und Dädalos zeitlich einigermaßen dingfest zu machen. Dädalos saß, so wurde erzählt, mit seinem Sohn Ikarus eine Zeitlang gefangen im Palast des Königs Minos auf Kreta. Dort konstruierte er aus Vogelgefieder die ersten Flügel, die ihm und Ikarus schließlich zur Flucht verhalfen.
Nun wird die minoische Kultur in die Zeit vom Jahr 3000 bis 1200 vor Christus datiert; der Palast von Knossos entstand zwischen den Jahren 2000 und 1700 vor Christus. Irgendwann in dieser Zeitspanne also müsste die »griechische Säge« des Talos erfunden worden sein.
Was sagt die Wissenschaft dazu? Sie weiß unter anderem zu berichten, Dass schon die steinzeitlichen Menschen - etliche Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung - eine Art Säge benutzten. Die Methode war schlicht: sie bestreuten das Holzstück, das sie »auseinandersägen« wollten, mit rauhem Sand - und zogen ein Seil darüberhin, stundenlang... Schließlich wurde das Verfahren noch verfeinert: Man band ein Brett an eine Schnur, versetzte es in pendelnde Bewegung und ließ es mit der Unterkante über einen Stein schleifen. So konnte man - wobei wiederum Quarzsand als Schmirgel herhalten musste - bereits Steine durchtrennen, in einem allerdings sehr mühsamen Verfahren. Ähnliche »Reibsägen«, freilich elektrisch betrieben, stellt man noch heute für die Steinbearbeitung her; man nennt sie »Trennschleifer«. Aber auch sichelförmige Steinwerkzeuge mit Sägezähnen sind aus der Steinzeit bekannt.
Im ägyptischen Kulturkreis kannte man mit Sicherheit ums Jahr 2700 vor
Christus, vielleicht gar schon seit dem Jahr 3500, Metallsägen mit Kupfer-
und später mit Bronzeblättern - in Knossos wohl seit 1500 vor Christus.
Die Datierung in die Zeit des Dädalos ist also gar nicht so falsch. Zimmerleute,
Schreiner und Wagenbauer benutzten alsbald auch in Griechenland solche Sägen;
und die Chirurgen bedienten sich ihrer ebenfalls - zum Abtrennen von Knochen.