In diesen Zahlen stecken die Arbeit und das Vergnügen der allermeisten Jäger bei uns. Aber auch die Waldschäden stecken in diesen Zahlen, denn der deutsche Wald ist so vollgepfropft mit Wild, dass selbst der (zuständige) bayerische Landwirtschaftsminister im Jahr 1984 festgestellt hat, die Bestandsschätzungen des Wildes hätten den »Wahrheitsgehalt arabischer Frontberichte«. Er meinte natürlich, dass mehr Wild im Wald lebt, als die Jäger angeben. Einsichtige Forstverwaltungen drängen daher darauf, überall dort den Wildbestand zu reduzieren, wo die Schälschäden und vor allem der Verbiss an den jungen Forstpflanzen dann doch zu hoch sind.
Die Situation scheint aber nur theoretisch einfach zu sein: Die verantwortungsbewussten Waldbauern wollen die Zahl der pflanzenfressenden Wildtiere an den Wald anpassen, während die Jäger gerade das Gegenteil wollen, nämlich einen angepassten Wald, in dem möglichst viel Wild leben kann. Und wie überall, wo Lebendiges im Spiel ist, sind die Verhältnisse noch weit komplizierter. Denn die fortschrittlichen Waldbauern wollen ebenfalls einen Wald voller Wildfutter, nämlich den standortgerechten, stabilen, sich selbst verjüngenden Mischwald aus vielen Altersklassen mit viel Unterholz. In diesem Idealwald finden Reh und Hirsch alles, was sie sich wünschen, die Blätter und Kräuter und Beerensträucher, die vielen zusätzlichen Laubholzarten, dazu Knospen und Rinden. Solch ein vielfältiger Wald ist auf die Dauer wirtschaftlicher - und Dauer, das heißt beim Waldbau nun einmal: immer erst für die nächste und übernächste Generation.
Waldbauer und Jäger wünschen sich also beide einen gesunden Mischwald, doch die Waldbauern möchten, dass in diesem Wald nur so viel Rehe und Hirsche leben, wie dort ohne Schaden für den Wald satt werden. Und das wäre so wenig Wild, dass selbst die in Jagdkreisen berüchtigten Bauernjäger, die ihre Bestände hoch ansetzen und die Abschüsse radikal erfüllen, dann viel weniger Sonntagsbraten nach Hause brächten. Der Jagdalltag besteht deshalb aus fleißigem Zufüttern im Forst und auch im Wald, aus der Pflege von Wildäckern und aus dem Bau von Futterraufen, in die fleißige Wildzüchter, die ein übriges tun wollen, auch gleich Futterkonzentrate mit Vitaminzusatz und Wurmmitteln schütten.
Ohne teure Wildzäune um die Forstkulturen, ohne Drahtmanschetten um einzelne Forstpflänzchen und ohne chemische Behandlung der Triebe lassen sich in den meisten Forsten keine Bäume mehr hochbringen. Außerhalb der Zäune rasiert das hungrige Wild alles ab, was ihm schmeckt; jeder Spaziergänger kann zusehen, wie hinter den Zäunen der jungen Kulturen in wenigen Jahren ein kleiner Urwald entsteht, während außerhalb der Zäune nur alte Bäume mit dicken Stämmen auf dem vergrasten Boden stehen. Alle sehen das, auch die Jäger. Doch manche wollen das so wenig wahrhaben wie die von den Stämmen weghängenden Rinden, die das Rotwild abgeschält hat. In dieser Diskussion muss man unablässig wiederholen : niemand will einen Wald ohne Wild. Was nötig ist, sind Wildbestände, die einem gesunden, naturverjüngten Wald nicht schaden können.
Und da kommt das nächste Übel, die Waldschäden durch die Abgase der industriellen Zivilisation. Schon jetzt ist abzusehen, dass Waldteile zusammenbrechen und wieder aufgepäppelt werden müssen. Und schon jetzt ist abzusehen, dass es unmöglich sein wird, diese zerstörten und wieder zu kultivierenden Waldflächen einzuzäunen - sie sind zu groß. Damit wird der Streit um die Jagd zu einem Überlebensproblem des Waldes.
Auf den geschädigten Böden werden sich leider zunächst keine Forstpflanzen wie Tanne und Fichte ansiedeln lassen, diese Kahlflächen können nur durch Pionierpflanzen wieder besiedelt werden. Birken, Vogelbeeren, Weiden, Holunder, Aspen und Eschen werden dort zu wurzeln versuchen, und erst wenn diese Bäume und Büsche den Boden einige Jahre lang genügend rekultiviert haben, kann wieder daran gedacht werden, dort auch Nutzhölzer zu pflanzen, also Fichten, Tannen, Buchen und Eichen. Und diese Forstpflänzchen müssen dann als Einzelpflanzen gärtnerisch gepflegt werden, der nötige Aufwand wird von den jeweiligen Bodenschäden abhängen und ist noch nicht genau abzuschätzen. Völlig sicher aber ist, dass das Dickicht der Pionierwälder die idealsten Wildfutterplätze und Wildverstecke abgeben wird; dort könnte es Wild in Fülle geben.