Der deutsche Wald kann mehr als rauschen

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Räuber

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Not machte sie zu Wilderern

Weit über 100 Jahre später lebten immer noch Gemeinschaften von Spitzbuben und Außenseitern der Gesellschaft in der relativen Geborgenheit großer, dichter Waldgebiete wie Taunus, Hunsrück, Pfälzer, Thüringer und Odenwald. In den streckenweise beinahe undurchdringlichen Bergwäldern Schwabens (im Schwarzwald, auf der Alb, im Welzheimer Wald) hatten sich so viele Vaganten zusammengerottet, dass man gemeinhin vom »Diebsland« sprach. Räuber

Nun handelte es sich bei diesen Vaganten - ein damals gängiger Begriff, den man etwa mit »fahrendes Volk« übersetzen könnte - durchaus nicht immer um Räuber und Halsabschneider. Die meisten waren recht harmlos: Leute verschiedenster Herkunft, vertriebene Bauern, heimatlose Juden, Landstreicher, Zigeuner, ehemalige Soldaten, Müßiggänger und kleine Diebe, die im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) und infolge der politischen Unruhen des 18. Jahrhunderts entwurzelt waren, nicht ins bürgerliche Leben zurückfanden und mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelt wurden. Die nackte Not machte sie zu Wilderern, und so waren diese »schweifenden, verdächtigen Gesellen mit Rohren und anderen mörderischen Gewehren« (wie es in einem Polizeibericht jener Zeit heißt) für die Obrigkeit ebenso gemeine Gesetzesbrecher, als wären sie richtige Banditen gewesen.

Aber auch die echten Räuberbanden, die es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zuhauf in Deutschland gab, setzten sich vorwiegend aus Verfolgten und Außenseitern der Gesellschaft zusammen. Außenseiter waren damals viele - man brauchte nur mit dem Angehörigen eines »unreinen« Berufes verwandt zu sein, als da waren: Gassenkehrer, Schäfer, Zöllner, Köhler oder Henker (es gab, von Gegend zu Gegend unterschiedlich, zahlreiche solcher verachteten Tätigkeiten). Wer solchen Makel mit sich herumtrug, hatte in manchen Landstrichen kaum Aussicht auf beruflichen oder gesellschaftlichen Aufstieg; dass viele von ihnen kriminell wurden - wen wundert's?

Die meisten Räuberbanden waren geradezu genossenschaftlich organisiert: Jeder hatte beim Pläneschmieden Mitspracherecht; der Klügste, Mutigste und Stärkste setzte sich durch und wurde stillschweigend als Anführer akzeptiert. Man stand sich gegenseitig bei und teilte die Beute nicht nur untereinander, sondern gab auch den Witwen umgekommener Bandenmitglieder und deren Kindern ihren Anteil. Es galt als selbstverständlich, in Gefangenschaft geratene Spießgesellen nach Möglichkeit zu befreien.

Die Heimat dieser Banden war in aller Regel der Wald. Vom Frühsommer bis zum Herbstanfang ließ es sich dort recht gut leben - wenn auch das Räuberleben nicht immer so fidel war, wie es uns Friedrich Schiller im vierten Akt seiner »Räuber« weismachen möchte, wo er die verwegene Bande, auf einer Waldwiese lagernd, singen lässt:
Stehlen, morden, huren, balgen
Heißt bei uns nur die Zeit zerstreun.
Morgen hangen wir am Galgen,
Drum laßt uns heute lustig sein.
Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne.
Der Wald ist unser Nachtquartier,
Bei Sturm und Wind hantieren wir,
Der Mond ist unsre Sonne...

Spätestens beim ersten strengen Nachtfrost erwachte selbst im Kernigsten dieser Galgenvögel der Wunsch nach einem leidlich warmen, trockenen Winterquartier. Da war man dann auf die Unterstützung der Landbevölkerung angewiesen. Erstaunlich oft wurde sie den Gaunern auch zuteil, denn die meisten Bauern sympathisierten eher mit den Gesetzlosen als mit den Vertretern der Obrigkeit. Ein gehöriges Maß an Angst vor der Rache abgewiesener Bandenmitglieder spielte dabei freilich auch eine Rolle.

Es gab sogar Herbergen, in denen Vaganten ungeschoren ein- und ausgehen konnten und wo der Wirt Flüchtigen sogar mit einem kompletten Garderobenwechsel behilflich war. Eine dieser gastlich gesetzlosen Waldherbergen war vermutlich das originale »Wirtshaus im Spessart«, das Wilhelm Hauff auf seiner Spessartreise im Jahr 1826 zu der berühmten Erzählung inspirierte. Damals gingen in jenem Wirtshaus allerdings keine Räuber mehr ein und aus, zumindest machten sie sich nicht bemerkbar; und ob sie es jemals taten, ist nicht ganz sicher. Jedenfalls werden sie nicht so bühnenreif und edelsinnig gesprochen haben, wie Hauff es beschrieb: »Es ist mir unmöglich, eine Dame, die meine vollkommene Achtung hat, also in Gefahr zu setzen.«

Hauff ritt mit seiner Räuberpistole auf einer Welle, die Schiller mit seinem Drama von Karl Moor und dessen wilder, verwegener Räuberbande entfesselt und die Goethes Schwager Christian August Vulpius knapp 20 Jahre später mit seiner Schnulze vom edlen Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini zur wahren Sturmflut aufgepeitscht hatte. Alle Welt riss sich um die schaurig-schönen Romane von mutigen Räubern, die holde Maiden liebten und reiche Pfeffersäcke ausraubten, um Arme, Gebrechliche und Waisenkinder zu beschenken. Hoch im Kurs waren auch die Geschichten von Robin Hood, der - keiner weiß es genau - um die Zeit der letzten Kreuzzüge mit seiner munteren Räuberbande in den weiten Eichenwäldern der englischen Grafschaft Nottinghamshire nach eben diesem Muster gelebt haben soll. Seine Abenteuer wurden (und werden bis heute) in endlosen Variationen zu Papier gebracht und von den Lesern verschlungen.

Ganz so edel waren echte Räuber selten. Nicht einmal der berühmte Schinderhannes aus dem Taunus, dem der Dramatiker Carl Zuckmayer mit seinem 1927 uraufgeführten Schauspiel »Schinderhannes« ein so liebenswürdiges Denkmal setzte, konnte sich mit ihnen messen. Der um 1780 als Sohn eines Abdeckers im Weiler Miehlen bei Nastätten geborene Hannes Bückler, der unter dem Spitznamen Schinderhannes als tolldreister Pferdedieb und Räuberhauptmann in den Rheinlanden viel von sich reden machte, stand zwar im Ruf, kein Blut sehen zu können - doch scheint es sich dabei vor allem um sein eigenes gehandelt zu haben: er fiel in Ohnmacht, sobald er sich in den Finger schnitt. Bei seinem Prozess 1803 in Mainz wurden ihm immerhin 53 schwere Verbrechen zur Last gelegt, darunter drei Morde. Er starb unter dem Fallbeil - zusammen mit 19 Gefolgsleuten. Hunderte kamen herbeigeeilt, um bei der Hinrichtung zuzuschauen.

Schinderhannes und seine Spießgesellen waren nicht die einzigen, die in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts dieses Schicksal ereilte. Eine der allerletzten Räuberbanden war die des Georg Friedrich Lang, genannt Hölzerlips. Sie wurde 1812 vom Blutgericht zu Heidelberg pauschal zum Tode verurteilt. Die Verstärkung der Gendarmerieposten, die regelmäßigen Patrouillen auf Landstraßen sowie das verbesserte Fernmeldewesen trugen zum raschen Ende des Bandenunwesens in den deutschen Wäldern bei.


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