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Der Urwald gewährt
vielen seltenen Pflanzen und Tieren einen natürlichen Lebensraum - man
darf hoffen, dass sie, bei entsprechender Vermehrung, sich zuletzt auch außerhalb
des Urwalds wieder verbreiten.
Um zum Höllbachgspreng zu kommen, wandert man vom Scheuereck, acht Kilometer nordöstlich von Zwiesel, etwa anderthalb Stunden bis zu dem von Menschenhand nahezu unberührten Wald.
Nach der Höllbachschwelle, einem einst von Flößern angelegten Triftteich zwei Kilometer östlich vom Falkenstein, tritt man in ein mächtiges grünes Gewölbe - in den Dom der riesigen, teilweise 400 Jahre alten, 50 Meter hohen Bäume.
Da und dort liegen gestürzte Stämme, hohl und morsch, vom Blitz zerfetzt, vom Sturm geworfen. Auf dem verfaulenden und von Zunderschwämmen besetzten Holz sprießen nicht selten schon wieder kleine Fichten - sie gedeihen hier gut. Manche Baumriesen ragen, rindenlos und verdorrt, mit langen weißglänzenden Ästen wie Waldgespenster gen Himmel - nur eine Weile noch, und sie zerfallen zu Moder. Bizarre Wurzeln kriechen schlangengleich über Erde und Fels, zwischen monströsen Wurzeltellern und zerschlissenen Stümpfen. Großblättrige Gewächse, Moose, Flechten, Sträucher, Gräser, Kräuter, Beeren und fast mannshohe Farne überwuchern die weichen Humus- und sumpfigen Moorböden zwischen scharfkantigem Felsgestein und mächtigen Gneisblöcken. Als eine Zierde entfaltet sich der Türkenbund unter Buchen im Dämmerlicht. Nicht nur staunende Kinder denken, wenn sie in diese manchmal unheimlich anmutende Waldszenerie hineinschauen, an die Märchen von »Hänsel und Gretel« und vom »Rotkäppchen«.
Steil führt der steinige Pfad am linken Bachufer aufwärts. Ohne eine kleine Anstrengung ist »Urwelt« halt nicht zu haben. Von Zeit zu Zeit bleibt man stehen, schaut in die Natur und atmet tief die köstlich prickelnde Luft ein.
Über Felsgeröll stürzt in einer dunklen engen Schlucht - die Waldler nennen sie bildhaft »Gspreng« - der von Rinnsalen gespeiste, tosende Höllbach zu Tal. An den Hängen zu beiden Seiten dehnt sich die Wildnis aus Fichte, Buche, Tanne und Ahorn: üppigste, natürliche Vegetation. Hier erschließt sich dem staunenden Entdecker ein neuer Naturbegriff.
Allerdings: nach der Schneeschmelze im Frühjahr stürzt der kristallklare Höllbach noch wilder über den Felsberg hinunter, wogend, schäumend und hoch aufspritzend. Mit Höllenspektakel schlägt das Wasser über den kreuz und quer liegenden Baumleichen zusammen.
Auf glitschigen Steinen geht es quer über den Wildbach weiter - die Tafel: »Weg nur mit festem Schuhwerk begehbar!« sollte nicht übersehen werden. Gleich danach ein felsiger Steig: an schroffen Wänden leuchtet gelbgrün die Schwefelflechte.
Wer nach dreistündigem Aufstieg den Großen Falkenstein (1312 m) erreicht hat und hinabschaut in das unermeßliche grüne Wäldermeer, der braucht wohl eine Weile, bis er die kleine Urwaldinsel darin entdeckt. Die Eindrücke aber, die er von dort mitnahm, verlieren sich nicht. Im gastlichen Schutzhaus drehen sich die meisten Gespräche nur um den Urwald »da unten«.