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Ameisenstaaten sind wie viele Insektenstaaten so organisiert, dass sie, zumindest theoretisch, unsterblich scheinen. Damit ein Staat entstehen kann, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein. Ein wesentlicher Faktor ist die Brutpflege: Da die Arbeiterinnen keinen eigenen Nachwuchs hervorbringen, können sie sich ganz der Aufzucht ihrer Geschwister widmen.
Ferner ist die Arbeitsteilung Grundvoraussetzung für das Fortbestehen des Staates. Die Eiproduktion wird von nur einem Weibchen übernommen - der Königin. Männchen (oder Könige) kommen nur zu bestimmten Jahreszeiten, dann aber in großer Menge zur Welt. Diesen Vorgang bestimmt die Königin selbst, denn die Männchen von Ameisen und Wespen entstehen immer aus unbefruchteten Eiern. Ob nun ein Ei befruchtet wird oder nicht, kann die Königin regulieren. Das Leben der Männchen ist darüber hinaus nur kurz. Sie sterben nach der Begattung.
Die Masse des Staatsvolkes besteht aus nicht fortpflanzungsfähigen Arbeitstieren - auch im Fall der Ameisen sind das ausschließlich Weibchen, die aus befruchteten Eiern entstehen. Die Arbeiterinnen bauen, flicken und verteidigen das Nest, sammeln Nahrung und kümmern sich um die Eier, Larven und Puppen. Diese Tätigkeiten sind artspezifisch festgelegt.
Wesentlich für das Funktionieren und Fortbestehen des Staates ist der soziale Nahrungsaustausch zwischen seinen Angehörigen: Die von den Arbeiterinnen eingebrachte Nahrung wird hervorgewürgt und von den anderen Tieren aufgenommen. Dabei kommt es auch zum Austausch und zur Weitergabe von körpereigenen Wirkstoffen, sogenannten Pheromonen. Beim Pheromon-Austausch werden auf chemischem Wege Informationen weitergegeben - das heißt, die Tiere eines Staates sind in der Lage, einander zu erkennen und der Situation entsprechend zu handeln. Untersucht man das Verdauungssystem von Ameisen, so fällt ein mehr oder weniger kompliziert gebauter Kropf auf: Er dient dazu, flüssige Nahrung aufzubewahren, um sie je nach Bedarf an die Nestgenossen zu verteilen. Das geht so vor sich, dass nach gegenseitigem Anbetteln (dem Betrillern mit Antennen und Mundwerkzeugen) die eine Partnerin den Nahrungsbrei aus dem Kropf hervorwürgt, wonach ihn die andere sofort aufleckt. Das gilt aber nur für Familienangehörige. Ameisen fremder Staaten verraten sich beim Betrillern durch ihren Nestgeruch; sie werden getötet.
Die Entomologen, die Insektenforscher, sprechen hier von einem Sozialmagen. Er garantiert, dass Informationen mit Hilfe der Pheromone gleichmäßig und schnell im ganzen Staat weitergegeben werden. Entscheidend für den sozialen Zusammenhalt eines Ameisenstaates ist also das gegenseitige Füttern.
Eine Rote Waldameise betrillert eine Pflanzenlaus.
Diese Methode wird aber nicht nur im Bau, sondern auch draußen praktiziert - und kurioserweise nicht nur unter Artgenossen. Treffen Ameisen beim Umherlaufen an Pflanzen auf Blattläuse, so betrillern sie auch diese an ihrem Hinterende. Weil die Blattlaus sich dadurch gestört fühlt, macht sie mit ihren Hinterbeinen strampelnde Abwehrbewegungen, wobei sie einen Tropfen Kot abgibt, den sogenannten Honigtau. Diese Süßigkeit wird von der Ameise begierig aufgenommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ameise bei diesem Vorgang überhaupt nicht erkennt, wen sie vor sich hat. Vielmehr deutet alles daraufhin, dass sie den Hinterleib der Blattlaus für den Kopf einer Artgenossin hält: Das Strampeln mit den Hinterbeinen entspricht den Trillerbewegungen mit den Fühlern, und das Abscheiden des süßen Kots ähnelt dem Hervorwürgen eines Nahrungstropfens. Hin und wieder kann man sogar beobachten, dass satte Ameisen in dieser Situation einen Nahrungstropfen hervorwürgen, als versuchten sie, eine Blattlaus von hinten zu füttern.
Waldameisen greifen auch wesentlich größere Tiere an. Hier wehrt sich eine Weinbergschnecke durch heftiges Schäumen gegen die Attacke.
Aus diesem offensichtlichen Mißverständnis hat sich bei vielen Ameisen im Lauf der Evolution eine Symbiose zwischen den beiden Tiergruppen entwickelt: Während die Blattläuse von den Ameisen wie Haustiere gehalten, vor Feinden geschützt und auf neue Weidegründe transportiert werden, liefern die Läuse Honigtau als Nahrung für den Ameisenstaat. Und dadurch, dass sie ihre Kühe, die Läuse, zu neuen Nahrungsquellen transportieren, können Ameisen indirekt dann auch zu veritablen Pflanzenschädlingen werden. Nun, das ist längst noch nicht alles. Auch mit einer ganzen Reihe anderer Tiere leben die Ameisen in bestimmten Beziehungen. Man nennt diese Tiere Ameisengäste und teilt sie ein in fünf Gruppen: in Nutztiere und echte Gäste, geduldete und verfolgte Gäste sowie Parasiten.
Zu den Nutztieren gehören die schon erwähnten Blattläuse, aber auch einige Schmetterlingsraupen, die ebenfalls süße Säfte absondern. Der Büschelkäfer wird als echter Gast eingeschätzt. Als solcher lebt er vorzugsweise bei den Blutroten Raubameisen. Auf den ersten vier Hinterleibssegmenten hat dieser Käfer Haarbüschel, an denen das in Ameisenkreisen hochgeschätzte Sekret austritt. Als Gegengabe erhält er von den Ameisen Futter, ja sogar seine Nachkommen werden von den Wirten aufgezogen - ein Ameisen-Altruismus, der in Extremfällen zur völligen Vernachlässigung der eigenen Brut und zum Absterben des Staates führen kann.