Der deutsche Wald kann mehr als rauschen

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Waldbauern

Kapitel in: Waldbauern

Waldbäume werden wie Parkbäume gepflegt

PlenterwaldIn diesem Wald wächst alles nebeneinander, »vom Urenkel bis zur Großmutter«, wie es der ehemalige Forstdirektor Gerhard Keller einmal sehr bildhaft und zutreffend formulierte.

Plentern heißt: die Waldbäume pflegen wie Parkbäume; heißt: jeden Baum einzeln betrachten, seine Wuchskraft abschätzen, seine Bedürfnisse kennen, wieviel Licht, Boden, Wasser er braucht, und ihm Platz schaffen, wenn er groß werden soll. Im Plenterwald steht der natürlich gesprosste Sämling neben dem mehrhundertjährigen Baum, und dazwischen recken sich alle übrigen Jahrgänge. Gerhard Keller, der ehemalige Forstdirektor im Bezirk Waldkirch, sieht dort »vom Urenkel bis zur Urgroßmutter« alles beieinanderstehen. Zu diesem hübschen Bild gehört natürlich auch die weitläufige Verwandtschaft - nämlich alle Baumarten, die in der betreffenden Landschaft heimisch sind: hier also Buchen, Tannen, Fichten, Birken, Erlen, Eschen und Eichen. Waldbauern

Die Fichte hatte das Tal ursprünglich noch nicht erreicht; erst seitdem die Waldpflege begonnen hat, wird sie als »Brotbaum« dazugepflanzt. »Der Wald«, schrieb Josef Nikolaus Köstler, der Altmeister der deutschen Waldpflege, schon vor Jahrzehnten, »erhält sich mit seinen natürlichen Mitteln überall dort, wo die Natur frei und ungehindert von der rohen, menschlichen Hand ihre Bahnen gehen kann.« Doch die Schurtenhofbauern kennen weder den Namen noch das Zitat, sie haben ihren Wald schon immer so behandelt, wie es heute als die modernste, schonendste, der Landschaft am besten gerecht werdende und billigste Art gepriesen wird.

Auf dem Schurtenhof haben sie alle übrigen Lehrmeinungen der Forstwirtschaft samt der Reinbestandslehre und der Kahlschlagsmode einfach übergangen. Und als der heutige Bauer von diesem Wechsel der Ansichten erfuhr, brauchte er sich gar nicht darum zu kümmern: sein Wald war schon immer naturnah und zugleich wirtschaftlich ertragreich gewesen.

Nur beim Wegebau hat es früher gehapert. Jahrhundertelang ist so ein Schwarzwaldhof ein sich selbst genügendes, sich selbst versorgendes Bollwerk gegen die Natur und die Mitmenschen gewesen. »Außer dem Salz und den Nägeln braucht der Hof nix!« - das war der Grundsatz. Und um nur ja nicht von des Nachbarn Launen abzuhängen, baute jedes Bauerngeschlecht sogar seine Waldwege selbst, ausnahmslos auf dem eigenen Grund. So ziehen sich im Simonswälder Tal in jedem Hof streifen alte, steile Steinwege nebeneinander die felsigen Waldhänge hinauf, die Kehren liegen ganz hart an der Grundstücksgrenze, und der Enkel kann sich kaum mehr vorstellen, wie der Großvater es geschafft hat, das Holz darauf herunterzubringen.

Das also musste endlich geändert werden. Die Schleifwege für die Ochsen mussten ersetzt werden durch Wege, auf denen auch ein Traktor fahren kann, und zum erstenmal fand sich die Bauernschaft zur Planung einer Waldstraße zusammen, die jetzt den ganzen Talhang durchschneidet und allen gemeinsam nützt.

Dennoch war diese Waldstraße ein bisschen viel für den Hof. Obwohl Land, Bund und EG mit Zuschüssen halfen und die Hilfe der Förster kostenlos war, blieben immer noch fast 40000 Mark am Hof hängen, und das in einer Zeit, die auch Investitionen für die Landwirtschaft forderte. Eine einzige Generation musste damit den Riesenschritt schaffen, den Wechsel vom Ochsen zum Traktor im Wald - und das war nicht der einzige Sprung nach vorn in den letzten Jahrzehnten.

Der alte Schurtenhofbauer hat noch die letzten Strohdächer im Tal gesehen, er selber ist in der Schindelzeit aufgewachsen, die heute auch schon vergangen ist, weil nur noch ein Schindler ringsum die Dächer flicken kann. Also hat er Ziegel auf die Dachsparren gelegt - das Gebälk ist fast zu schwach für diese schwere Last. Auch die eigene Mühle auf dem Hof, das Spinnrad und den Webstuhl hat er in seiner Jugend noch in Bewegung gesehen; seine Eltern haben sogar den selbstgezogenen Hanf verarbeitet, sie haben schauerlich kratzendes Tuch daraus gewirkt. Und als Bub hat er in den zwanziger Jahren noch juckende Schafwollsocken aus der eigenen Hofwolle tragen müssen, und er hat den Wandel der Holzlöffel erlebt, die damals am Esstisch in der Stube hinter eines jeden Essers Platz an einem Nagel hingen. Der Holzlöffel wurde vom Eisenlöffel ersetzt und dann vom Aluminiumlöffel, und längst ist es Sitte, den Löffel nicht mehr nur abzulecken, sondern ihn jeden Tag zu spülen. Die erwachsenen Kinder des Schurtenhofbauern hören das alles, als würde der Vater Geschichten aus einem Märchen erzählen.

Im Wald hat sich, daran gemessen, fast nichts verändert. Sicher, auf mehr als einem Drittel des Bodens steht ein Altersklassenwald, also ein vom Bauern gepflanzter Wald von lauter gleichalten Bäumen, der einmal bei einem größeren Kahlschlag fallen wird und der zu 80 Prozent aus Fichten besteht. Das war ein Zugeständnis an einen Försterrat, doch es ist noch nicht ausgemacht, welche Wirtschaftsform mehr bringen wird, der Plenterwald oder der Wald mit den gleichalten Fichten. Dass andererseits der Wald dem Schurtenhof mehr einbringt als die Landwirtschaft, das haben sogar die staatlichen Betriebswirte beim Durchrechnen festgestellt. Für den Ertrag, der sich mit Kühen und Schweinen erwirtschaften lässt, müssen der Bauer und seine Familie (auch die Mägde und Knechte gehören hier schon ins Märchen) viermal soviel arbeiten wie für den Ertrag, den die Bäume dem Hof einbringen.

Aussicht ins Simonswälder Tal
Vom höchsten Punkt des Bauernwaldes eröffnet sich die Aussicht ins Simonswälder Tal. Die bizarren Felsbrocken, die hier aus dem Boden ragen, bleiben, wo sie immer waren.

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