Der deutsche Wald kann mehr als rauschen

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Jagd

Kapitel in: Jagd

Das Drum und Dran war die Hauptsache

Auch bei der Jagd gab es solche Extreme immer wieder. Da war - im Sinn der Quantität - das »Eingestellte Jagen« in überfüllten Revieren, das die Hofgesellschaften vergangener Jahrhunderte in wahre Lusträusche versetzte - ähnlich wie sie der Marder erlebt, dem es gelingt, in einen Hühnerstall einzudringen: Was sonst nur erreichbar ist als Frucht größter Mühen, ist nun in Massen zu haben. Der Marder kann gar nicht anders: er muss beißen und würgen, beißen und würgen ...

Dem anderen Extrem der Jagd, dem qualitativen , huldigte etwa der Brauch der Reiherbeize, bei welcher das Drum und Dran die Hauptsache war: Dem vom Falken nach dramatischem Luftkampf zu Boden gezwungenen Vogel riss man lediglich eine Schmuckfeder aus; er selbst wurde alsbald in die Freiheit der Lüfte entlassen.

Natürlich gibt es solche Versuche zur Optimierung jagdlichen Lustgewinns auch noch heute. Jagd

Nicht minder verbreitet ist das Bemühen, den Lustgewinn zu steigern durch zusätzliche Befriedigungen, die mit der Jagd nur mittelbar oder gar nichts zu tun haben. Zahllos sind die Motive, die einen Menschen zur Jagd bringen: Der eine fühlt sich erst richtig wohl, wenn er sich in rauh-zünftiger Gesellschaft bewegt, der andere wünscht sich elegante Umgebung. Mancher braucht die Bestätigung seiner Kunstfertigkeit - den Schrotschuss auf hohe, schnelle Ziele, den präzisen Kugelschuß -, manch anderer will seine Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer beweisen - im Gebirge oder in der Wildnis -, und mancher will zuvörderst seine Unerschrockenheit demonstrieren - wenn er dem Bären mit Pfeil und Bogen nachstellt. Während der eine vor allem Überlegenheitsempfindungen kultiviert, indem er emsig-nimmersatt Trophäen sammelt, möchte ein anderer sich auszeichnen als Gastgeber, Heger oder Organisator, will ein Dritter Tiere beobachten oder poetische Stimmungen genießen - was auch immer: in allen Fällen sollen persönliche Bedürfnisse befriedigt werden, die mit der Jagd zunächst nichts zu tun haben. Dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden - solange diese Menschen nicht versuchen, ihr Bild der Jagd für allgemeinverbindlich zu erklären.

Eine ganz andere Dimension bekommt die Frage nach Nutz und Zweck der Jagd, wenn nicht die Neigungen des einzelnen in Rede stehen, sondern die gesellschaftlichen Bedürfnisse. Das ursprüngliche Ziel - die Versorgung mit Nahrung und Fellen - ist ja längst völlig in den Hintergrund getreten, seitdem wir Menschen nicht mehr vorwiegend vom Jagen leben müssen.

Die einzige soziale Funktion der Jagd, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, besteht im Lustgewinn, den es bewirkt, einer herrschenden gesellschaftlichen Gruppe anzugehören. Zusammen mit anderen Vorzügen - etwa dass man in feinen Gegenden und vornehmen Villen wohnt und in teuren Autos chauffiert werden kann - wurde und wird die Jagd als Privileg der Herrschenden behandelt, von dem das breite Volk weitgehend ausgeschlossen ist. Tatsächlich verrät die Kenntnis, wer in welchem Land was jagt, mehr über die tatsächlichen Machtverhältnisse als alle geschriebenen Verfassungen.

In diesem Zusammenhang ist ein Blick in die Dokumente zur Entstehungsgeschichte der Jagdgesetze der deutschen Länder nach 1848 interessant. Die Verfassung hatte das Jagdrecht unlösbar mit dem Grundeigentum verbunden, aber eine gewisse Mindestgröße der Fläche verlangt. Dies geschah nicht (wie fromme Legenden behaupten) aus Sorge um den Wildbestand - es wurde vielmehr, wie Dokumente belegen, vor allem gefordert in der Befürchtung, die »niedrigen Stände« könnten, vom Jagdvergnügen verführt, ihre Arbeit vernachlässigen und ihr ohnehin bescheidenes Vermögen dafür verprassen.

Eine folgenschwere soziale Funktion wuchs der Jagd bereits früh zu, als die Menschen begannen, sich als Hirten und - in späteren Epochen - als Ackerbauern zu betätigen. Damals lernte der Mensch, die Tiere, die er jagte, nicht mehr ausschließlich als Beute zu sehen, sondern als Feinde. Sie sollten nicht mehr wegen ihres Fleisches oder Fells genutzt werden oder zur Befriedigung der Jagdlust - es galt vielmehr, sie zu bekämpfen um eines außer jagdlichen sozialen Nutzens willen.

Warum es zu dieser völlig neuen gesellschaftlichen Funktion der Jagd kommen musste, ist evident. Für die Bären, Löwen, Tiger, Wölfe, Luchse, Adler und viele andere Geschöpfe, die ihre Jagdtechniken von jeher auf wachsame, in nur geringer Zahl vorhandene Beutetiere eingestellt hatten, schuf das Auftreten des von den Hirten gehaltenen Groß- und Kleinviehs einen unwiderstehlichen Beuteanreiz und eine Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen. Während dem Jäger nichts verlorenging, wenn ein jagendes Mitgeschöpf ebenfalls Beute machte (beide zehrten ja nur von den Zinsen eines ihnen nicht gehörenden, offenbar unerschöpflichen Kapitals), war für den Hirten das Vieh sein eigenes Kapital; jeder Verlust musste ihn schwer treffen.

Gleiches spielte sich später zwischen Ackerbauern und Pflanzenfressern ab. Der Ackerbauer schränkte durch die Arbeit auf seinen Äckern die natürliche Pflanzenvielfalt ein, indem er besonders energiereiche Arten bevorzugte und förderte. Dem Beerensammler im Wald entstand kein Schaden, wenn Tiere aus dem Überfluss ihren Teil fraßen. Für den Ackerbauern aber war die Feldfrucht das Werk seiner Hände; alles, was diejenigen ernteten, die nicht gesät hatten, erwies sich für ihn als echter Schaden. Hinzu kam, dass der Ackerbau für die Pflanzenfresser eine deutliche Verbesserung der Lebensgrundlagen brachte, die naturgemäß dazu führte, dass die Tiere von diesen Flächen bevorzugt fraßen und auch mehr Nachwuchs durchbrachten.

Zwar beteiligten sich Hirten und Ackerbauern an der Bekämpfung solcher Tiere, die Hauptaufgabe fiel aber den Jägern zu, weil man annahm, dass sie die meiste Sach- und Ortskenntnis, die besten Erfahrungen und Fähigkeiten hätten.

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