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Die Waldkrise offenbart deshalb eine darunterliegende Krise der Ökonomie. Die moderne arbeitsteilige Industriewirtschaft kann nur aufgrund ihrer Rechenhaftigkeit funktionieren: Die Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns müssen sich auf jeder Ebene zahlenmäßig korrekt niederschlagen, damit sie im routinemäßigen wirtschaftlichen Kalkül angemessen berücksichtigt werden können. Dies ist bisher kaum geschehen, soweit ökologische Auswirkungen in Betracht zu ziehen waren. Wir sind mit unserem ökologischen Kapital unwirtschaftlich umgegangen und haben es verschleudert, weil wir den hohen Wert ökologischer Ressourcen außer Ansatz ließen. Nicht zuviel Ökonomie hat unsere Wälder ruiniert (wie man zunächst denken könnte), sondern zuwenig. Denn unsere Industriewirtschaft ist in natürliche Ökosysteme eingebettet, sie hängt für ihr eigenes Überleben von ihnen ab, und das hätte sich schon längst in allen wirtschaftlichen Einzelentscheidungen des Alltags auswirken müssen.
Es besteht Hoffnung, dass die Waldkrise ein wirtschaftspolitisches Umdenken bewirkt: Einsicht in die ökologische Einbindung unserer Industriewirtschaft und die Bereitschaft, uns den ökonomischen Konsequenzen dieser Einbindung zu stellen. Aus der Waldkrise könnte eine ökologische Marktwirtschaft hervorgehen, in welcher die Spannung von Ökologie und Ökonomie nicht mehr verdrängt, sondern ausgetragen und wirtschaftlich fruchtbar gemacht wird.
Die Volkswirte haben den Besonderheiten der Forstwirtschaft nicht immer genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Die Volkswirtschaftslehre konzentrierte sich auf die Angebots- und Nachfragebeziehungen zwischen den Haushalten einerseits und dem produktiven Sektor der Wirtschaft andererseits. Beide Institutionen aber, Privathaushalte wie typische Industriefirmen, haben einen relativ kurzen Zeithorizont. Das Gros der wirtschaftlichen Entscheidungen eines Haushalts wird von heute auf morgen gefällt. Die Mehrzahl der Firmen ist so häufigen Änderungen ausgesetzt, dass ihre Planung über die nächsten 15 bis 20 Jahre selten hinausgeht. Was danach kommt, ist ungewiss; und wo sich alles ständig gegeneinander verschiebt, hat es keinen Sinn, das ökonomische Kalkül allzu weit in die Zukunft hinein auszudehnen. Die Voraussicht unterliegt einer Art von perspektivischer Verkürzung: Das Heute steht uns nahe und erscheint deshalb als wichtig, das Morgen ist weiter weg und entsprechend weniger bedeutsam, und das Übermorgen spielt überhaupt keine Rolle. Es ist schwer, weit vorauszuschauen, wenn die Dinge im raschen Fluss sind. Und zum andern soll das eingesetzte Kapital eine hohe Rendite erwirtschaften; es muss also gut verzinst werden.
Wer so rechnet, kann den Wald ökonomisch nicht mehr akzeptieren. Denn Erträge wirft er immer erst sehr spät ab, zum Teil erst nach mehr als 100 Jahren. In üblicher Weise verzinst, scheinen solche Erträge mikroskopisch klein und fallen deshalb kaum ins Gewicht, während die Kosten, die ja zeitlich viel näher liegen, die Wirtschaftlichkeitsrechnung deutlich belasten.
Was aber sollte die Forstwirtschaft mit einer solchen Ökonomie wohl anfangen? Die Volkswirtschaftslehre, geeicht an der Analyse schnellebiger industrieller Prozesse, schien in ihrer Kurzatmigkeit wenig geeignet, dem langen Rhythmus natürlicher Ökosysteme gerecht zu werden. Sie entsprach insofern ganz der modernen Industriewirtschaft selbst, zu deren Erklärung sie angetreten war: Wie diese ging sie über viele unserer natürlichen Lebensgrundlagen einfach hinweg und erklärte damit als ökonomisch legitim, was die Industriewirtschaft ohnehin schon tat - nämlich die Umwelt zu übersehen.
Die moderne Nationalökonomie bietet zwei Erklärungsansätze an, mit deren Hilfe wir der Ökologie besser gerecht werden können, als die klassische Volkswirtschaftslehre es vermochte. Der erste Satz erfasst neben den gewöhnlichen internen Kosten und Erträgen auch die »externen Effekte«, welche am Markt vorbeilaufen und sich nicht direkt beim Urheber niederschlagen, sondern bei der Allgemeinheit. Eine Fabrik, die mit ihren Abwässern einen Fluss belastet, verursacht externe Kosten, also Einbußen, von denen sie in der Regel selbst nichts spürt, wohl aber die Anlieger des Flusses. Ein Blumenbeet im Vorgarten macht nicht nur seinem Eigentümer Freude, sondern auch den Nachbarn und Passanten, wodurch externe Erträge anfallen.
Der Wald erwirtschaftet offensichtlich ganz erhebliche externe Erträge. Die Menschen erholen sich darin, er speichert Grundwasser und filtert die Luft. Würde man so etwas industriell machen wollen, so müsste es, sofern technisch überhaupt machbar, ungezählte Milliarden kosten - ein Indiz dafür, dass die externen Erträge des Waldes enorm sein müssen. Dies allein könnte bereits mehr als hinreichen, um den Wald volkswirtschaftlich rentabel zu machen. Der große englische Nationalökonom Arthur Cecil Pigou, der von 1902 bis 1943 Professor in Cambridge war, hat vorgeschlagen, die Urheber externer Erträge zu subventionieren, um ihre Produktion auf einem volkswirtschaftlich angemessenen Niveau zu halten. Es gibt bei uns wahrhaftig zu viele Subventionen, der Wald jedoch bietet ein lupenreines Beispiel, wo Subventionen ökonomisch gerechtfertigt und volkswirtschaftlich angezeigt sind.
Dieser erste Erklärungsansatz allein reicht allerdings nicht aus, denn was »Erträge« und was »Kosten« sein sollen (ob nun privat oder extern), darüber entscheidet allein die subjektive Einschätzung der Betroffenen. Wie hoch die externen Kosten des Abwassers sind, hängt davon ab, wie sehr sich die Anlieger des Gewässers daran stören. Gibt es keine Anlieger, so gibt es für dieses Gewässer auch keine externen Kosten. Und die externen Erträge des Waldes ergeben sich daraus, wie hoch von der Bevölkerung sein Erholungswert, seine Grundwasserspeicherkraft und seine Luftfilterwirkung eingeschätzt werden. Ein abgelegener Wald, den nur wenige betreten und dessen Speicher- und Filterqualität niemandem von Wert zu sein scheint, hätte demnach so gut wie überhaupt keine externen Erträge: Auch wenn dieser Wald für das ökologische Gleichgewicht unentbehrlich wäre, könnte er sich als volkswirtschaftlich unrentabel erweisen - und das wäre ein unhaltbares Ergebnis.
Der zweite Erklärungsansatz geht anders vor. Jede Wirtschaft vollzieht sich innerhalb gewisser Rahmenbedingungen, die selbst nicht mehr den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegen. Beispielsweise könnte der Markt nicht funktionieren, wenn es nicht den Rahmen der Rechtsordnung gäbe. Ganz entsprechend muss der Markt auch mit einem ökologischen Rahmen versehen werden, der aus den Erfordernissen des ökologischen Gleichgewichts abzuleiten ist. Ein Mindestbestand an Wald muss also in jedem Fall erhalten bleiben, auch wenn er sich nach Einbeziehung externer Erträge volkswirtschaftlich nicht »rechnen« sollte. Wie die Dinge im Augenblick stehen, wäre die betriebswirtschaftliche Situation der Forstbetriebe auch ohne die Waldschäden, die ein vorzeitiges Ausholzen von Beständen erfordern, ziemlich schlecht. Für den Staatswald zeigen sich schon im Durchschnitt der letzten 15 Jahre negative Betriebsergebnisse, und auch die Mehrzahl der Privatbetriebe kann heute mit Wald keinen nennenswerten Reinertrag mehr erwirtschaften - von einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals ganz zu schweigen.