Der deutsche Wald kann mehr als rauschen

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Jagd

Kapitel in: Jagd

Wild und Wald haben sich gegenläufig entwickelt

Was heute im deutschen Wald und Forst leben darf, wird auf dem Verordnungswege bestimmt - vom Tannensetzling in der Drahthose bis zum Hirschkalb. Die Jagd der menschlichen Jäger findet in einem künstlich aufrechterhaltenen Vegetations- und Lebensgefüge statt, das mit den alten Verhältnissen nur noch wenig zu tun hat. Heute wird es sogar für nötig erachtet, dem Jäger vorzuschreiben, wie viele und welche Tiere er wann und wo schießen muss. Denn nur so können die Lebensräume des Wildes und des Menschen vor Schaden bewahrt werden - der Wildschaden ist immer noch groß genug. Die Jagd ist ein Teil des Kulturgeflechts aus Wald, Forst, Wiese, Acker, Ödland und Wild geworden, das ökonomisch arbeiten soll und mehr oder weniger kunstvoll aufrechterhalten wird - auch dort, wo Ried und Heide für das Birkhuhn geschützt werden. Jagd

Das entscheidende Problem ist, dass sich Wild und Wald gegenläufig entwickelt haben. Der Wald wurde auf weiten Flächen zum Forst und bietet damit insgesamt weniger Futter, das Wild aber ist mit allen Mitteln vermehrt worden - mindestens bei den erwünschten Tierarten, zu denen auf keinen Fall die Jagdkonkurrenten Wolf, Bär und Luchs zählen. Wo im Gegenzug die Naturschützer darauf drängten, dass in Mitteleuropa wieder Luchse eingesetzt wurden, haben sich manche Jäger zu geradezu hysterischen Reaktionen hinreißen lassen. Die Jagd ist auf diese Weise zu einem großen Verteilungskampf geworden. Unbesorgt um ihr Vergnügen sind nur die ganz wenigen Großwaldbesitzer mit eigenen Wäldern, die es bei geflissentlicher Beachtung der Forstgesetze mit ihrem eigenen Geldbeutel ausmachen müssen, wie viele Wildschäden durch zuviel Wild sie hinnehmen wollen

Traditionell geht von dieser - ehemals herrschaftlichen - Gesellschaftsschicht die Trophäenjagd aus, die zum großen Vorbild für die ganze Jägerschaft geworden ist. Rothirschbevölkerungen werden bis heute ausschließlich so bejagt, dass vor allem Hirsche mit möglichst großen Geweihen heranwachsen; das heißt nichts anderes, als dass auf die sonstigen Körpermerkmale wenig Wert gelegt wird. Der Kult, den weite Kreise besonders in Deutschland mit den Trophäen treiben, deutet darauf hin, dass sich hier das blanke Interesse der Jagdbegier zu verselbständigen beginnt.

Der »Letzte Bissen«: dem erlegten Rehbock wird ein Zweig einer waidgerechten Holzart quer in den Äser geschoben (wie in der Jägersprache das Maul genannt wird).

Manche Rotwildjäger sehen darin, dass es ihnen gelungen ist, Tiere mit möglichst großen Geweihen und Gehörnen zu schießen, einen Beweis ihrer Fähigkeit, gute »Erntehirsche« heranzuhegen. Den Widerspruch, dass sie manchmal sogar ein namentlich bekanntes Tier so lange schonen, bis es das schönste Geweih hat, und seinen Abschuss dann nach gutem Waidmannsbrauch als Abenteuer zelebrieren, scheinen sie nicht zu bemerken. Keine Zelebration ohne Rituale: mit dem »Letzten Bissen« werden beispielsweise abgebrochene Zweiglein von bestimmten Holzarten (Buchen oder Birken sind verboten) dem männlichen Tier - und nur ihm - quer ins Maul gesteckt. Damit erweist der Jäger (wie es im Buch »So mache ich die Jägerprüfung« heißt) dem »gerecht gestreckten männlichen Stück ein letztes Mal seine Ehrfurcht als einem Geschöpf Gottes«.

Auch wenn bei den Trophäenschauen die pflichtgemäß eingesandten Geweihe an der Wand hängen - man merkt doch, wie routiniert in gewissen Teilen der Jägerschaft, die der deutschen Waidgerechtigkeit huldigt, das Zwiedenken beherrscht wird, das gespaltene Denken. Dann wird nämlich geschäftsmäßig von den Erntehirschen und von den Reifeklassen III b bis I a gesprochen, von der »Bewirtschaftung des Rotwildbestandes mit dem Ziel einer optimalen Ernte reifer Trophäenträger« (in »Der Jäger«, Heft Juli 1985). Wer hier statt »Rothirsch« das Wort »Fleckvieh« und statt »Ernte reifer Trophäenträger« das Wort »Milchleistung« einsetzt, versteht, worum es bei dieser Viehzucht im Wald geht, die im selben Atemzug als eines der letzten männlichen Abenteuer angepriesen wird.

Es gibt jedoch auch, und das muss festgehalten werden, zahlreiche Jäger, die eine anstrengende Fuchsjagd weit aufregender finden als den »gerechten Schuss« auf den altbekannten Sechzehnender »Hansi« im Rotwildgebiet. Die Rotwildtrophäenjagd ist sowieso nur wenigen Jagdscheinbesitzern möglich. Im Jagdjahr 1983/84 wurden in der Bundesrepublik lediglich 29576 Stück Rotwild erlegt (so genau sind diese Zahlen bekannt); darunter waren nur wenige Hundert absolute Spitzenhirsche. Die übergroße Mehrzahl der Jäger kam bloß bei den Rehen zum Schuss; von denen wurden 686 714 Tiere erlegt. Mit dem Gehörn der Rehböcke wurde aber ebenfalls ein männerstolzes Bewertungsspiel getrieben. Bei den Wildschweinen, schon schwerer zu bejagende Tiere, brachte es die Jägerschaft auf exakt 66 435 Exemplare.

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